Digitale Produktentwicklung: Der virtuelle Weg vom Prototypen zum Produkt

Verantwortlicher Redakteur:in: Rainer Trummer 4 min Lesedauer

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Camping ist in vielen Ländern ein wesentlicher Bestandteil der Tourismuswirtschaft. Immer mehr Reisende urlauben dabei nicht mehr nur in Zelten, sondern in voll ausgestatten Wohnanhängern und Wohnmobilen. Hersteller Hymer nutzt bei der Entwicklung seiner Campingfahrzeuge Solid Edge- und Teamcenter-Lösungen von Siemens Digital Industries Software und reduziert damit physikalische Prototypen um 80 Prozent.

(Quelle: Hymer)

Digitale Produktentwicklung in der Praxis: Hymer gehört zu den Pionieren auf dem Gebiet der Campingfahrzeuge. Das Unternehmen mit Sitz im süddeutschen Kurort Bad Waldsee stellte 1957 seinen ersten Wohnanhänger her, 1961 folgte Deutschlands erstes Wohnmobil. Indem Hymer Innovation und schwäbische Tugenden wie Detailverliebtheit und Qualität sowie die Verarbeitungsqualität „made in Germany“ verband, wurde das Unternehmen im Wohnmobilsegment zu einem Innovations- und Technologieführer. „Die Seitenwände bestehen aus geschlossenzelligem PU-Schaum mit einer Aluminiumhülle und bieten bei nur fünf Zentimetern Dicke den Isolationswert einer 80 Zentimeter starken Ziegelmauer“, erklärt Frank Heinrichsen, Marketingleiter bei Hymer.

Digitale Produktentwicklung

Bei der Entwicklung des Konzept-Campingfahrzeugs Vision-Venture spannten die Hymer-Ingenieure einen digitalen roten Faden über den gesamten Produktentstehungsprozess. Mittels Software aus dem Siemens Xcelerator Portfolio, das aus Software, Hardware und Dienstleistungen besteht, schufen sie wie bei allen Konstruktionen einen vollständigen digitalen Zwilling des Fahrzeuges. Für die rechnergestützte Konstruktion (CAD) nutzen die Hymer-Mitarbeiter an allen europäischen Standorten die Software Solid Edge. Für Vision-Venture importierten sie Modelle, die ein Industriedesigner mit der Software NX geschaffen hatte. „Solid Edge ist durch seine unterstützende Benutzeroberfläche leicht zu erlernen; neue Kollegen benötigen nur wenig Einschulung“, sagt Stefan Ziegler, Leiter Industrialisierung, Forschung und Entwicklung bei Hymer. „Diese 3D-CAD-Software enthält alles, was wir für das Erstellen des vollständigen digitalen Zwillings eines Fahrzeuges brauchen, einschließlich mächtiger Werkzeuge für die Rohrleitungskonstruktion.“ In Hymer-Wohnmobilen spielen Rohre und Kabelbäume wesentliche Rollen. Für deren Konstruktion und Verlegungsplanung nutzt Hymer die
Applikation Solid Edge Xpress Route 3D.

Die Konstrukteure überprüfen die Festigkeit ihrer Konstruktionen mit der Finite Elemente Methode (FEM). Für alltägliche Untersuchungen nutzen sie dazu die Möglichkeiten in Solid Edge. Weitergehende Analysen vergeben sie an The Team Technology (TTT), eine Konstruktionsabteilung für Automobil-Leichtbau innerhalb der Erwin Hymer Group. Dort kommt für FEM-Analysen die 3D-Software Simcenter zum Einsatz. Dieser zweistufige Überprüfungsprozess führt zu einem Wissensaufbau in den frühen Stadien der Produktentwicklung und reduziert die Anzahl der benötigten physikalischen Prototypen.

(Für CAD nutzen die Hymer-Mitarbeiter an allen europäischen Standorten Solid Edge. Bild: Hymer)

Probleme aufdecken und lösen

Unter Verwendung der Software Teamcenter baut Hymer Prototypen ihrer Fahrzeuge in der virtuellen Realität (VR). Dazu laden die Wohnmobilspezialisten von Hymer die mittels Solid Edge geschaffenen digitalen Zwillinge nach Teamcenter Visualization Concept, eine Erweiterung für Teamcenter Visualization. Sie erstellen für die digitale Produktentwicklung Mockups des gesamten Fahrzeugs oder von Teilen davon, um Probleme aufzudecken und zu lösen.

Im Wohnmobilbau ist die ergonomische Entwurfsüberprüfung wichtig. Mittels VR-Brille lässt sich sehr einfach feststellen, ob die konstruierten Lösungen praktikabel sind. „Mit den Möglichkeiten von Teamcenter ­Visualization zum Erstellen digitaler Mockups können wir Unzulänglichkeiten aufdecken und beseitigen, noch bevor sie sich zu teuren Problemen auswachsen,“ sagt Heinrichsen. „Der virtuelle Prototypenbau half uns, physikalische Modelle und Prototypen um 80 Prozent zu reduzieren.“

Teamcenter VR nutzt das Dateiformat JT für Darstellung und Analyse der 3D-Modelle. Da die Geometriedaten von Solid Edge in diesem Format übergeben werden, ist für deren Import keine Datenaufbereitung oder -umwandlung erforderlich.

Die Hymer-Konstrukteure nutzen das JT-Format für den gesamten Datenaustausch zwischen verschiedenen Softwareprodukten. Für viele Zwecke wird ein großer Teil der in nativen CAD-Daten enthaltenen Informationen nicht benötigt. Meist genügen die Geometriedaten; Historiendaten wären nur Ballast. „Wir brauchen heute nicht mehr drei Tage für Datenübersetzung und -bereinigung,“ erklärt Ziegler. „Mit dem Dateiformat JT können wir Geometriedaten in Minuten statt Tagen importieren und konsolidieren, selbst wenn diese aus verschiedenen Softwaresystemen stammen.“ Das ist häufig der Fall, etwa beim Zusammenführen der in unterschiedlichen Systemen erstellten Konstruktionen der Fahrzeugmechanik und der Kabelbäume in ein gemeinsames Modell mittels Teamcenter Visualization.

Mit JT für den Datenaustausch brauchen Anwender darüber hinaus zum Betrachten von 3D-Modellen keine CAD-Software. Der kostenlose JT2Go Viewer erleichtert die Zusammenarbeit mit Lieferanten und externen Partnern auf der Grundlage reichhaltiger Konstruktionsdaten.

(Mit der VR-Brille lässt sich einfach feststellen, ob die konstruierten Lösungen praktikabel sind. Bild: Hymer)

Ein digitaler Zwilling, viele Anwendungen

Die Dokumentation erstellen die Hymer-Ingenieure mit Rapid Author for Teamcenter (vormals Cortona 3D). Dazu gehören auch elektronische Arbeitsanweisungen für die Montagelinien. „Die Kollegen sind von den Montageanleitungen mit 3D-Modellen begeistert“, sagt Ziegler. „Besonders schätzen sie die Möglichkeit, die Modelle zu drehen und so Dinge sehen zu können, die in Zeichnungen oft verborgen bleiben.“ Das hilft auch dabei, neue Produktionsmitarbeiter anzulernen. Im Engineering unterstützt Siemens Lösungspartner ISAP AG Hymer mit Softwareschulungen. Für den Vertrieb schaffen Hymer-Ingenieure lebensechte, oft bewegte Renderings. Diese basieren ebenfalls auf den Daten der 3D-Modelle aus Solid Edge im Dateiformat JT. Noch größer sind die Vorteile für die digitale Produktentwicklung, wenn es nur einen digitalen Zwilling für die zahlreichen Varianten der Wohnanhänger und Wohnmobile von Hymer gibt. „Jede Entwicklung beginnt als 150-Prozent-Modell und muss auf ein 100-Prozent-Modell reduziert werden, um die individuellen Anforderungen zu erfüllen“, weiß Heinrichsen. Deshalb haben die Hymer-Ingenieure begonnen, ihre Modelle mit Produkt- und Fertigungsinformationen (PMI) anzureichern. „PMIs ermöglichen die Variantenableitung mittels Konfiguration“, bestätigt Ziegler. „Der Zeitbedarf dafür ist um 65 Prozent gesunken.“

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Digitale Produktentwicklung: Informationssilos und Fehlerquellen eliminieren

Durch die Verwendung des in Solid Edge geschaffenen digitalen Zwillings als gemeinsame Wissensbasis sind sämtliche Daten assoziativ und können universell genutzt werden. Dadurch konnte Hymer verteilte Informationssilos und Fehlerquellen im Zusammenhang mit der separaten Datenhaltung eliminieren. Zudem können alle Beteiligten nach Änderungen auf Grundlage aktueller Informationen weiterarbeiten.

Die Autorin Susann Kunz ist Marketing Managerin und Autorin Al Dean ist Content Manager, beide bei Siemens Digital
Industries Software.

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