Digitalisierung Nachhaltigkeit in der Fertigung: Die große Expertenumfrage

Von Rainer Trummer 9 min Lesedauer

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Das Thema Nachhaltigkeit in der Fertigung stand bisher nicht an erster Stelle der Agenda. Doch das ändert sich fundamental. Eine Vielzahl von Faktoren macht den Wandel unumgänglich, und etliche Unternehmen haben ihre Sustainability-Transformation bereits begonnen. Was dabei die wichtigsten Aspekte sind, wie Unternehmen ihren ökologischen Fußabdruck am effizientesten verringern können und welche Rolle die Digitalisierung dabei spielt, erläutern uns sieben Experten.

(Bild: Pcess609/AdobeStock)

Das Thema Nachhaltigkeit ist heutzutage in sämtlichen Branchen von zentraler Bedeutung und muss strategisch angegangen werden – auch in der Fertigungsindustrie.

Die Fragen an die Experten:

  • 1. Welche Aspekte gehören für Sie zum Thema Nachhaltigkeit in der Fertigung?

  • 2. Wie können Unternehmen ihren ökologischen Fußabdruck  am effizientesten verringern?

  • 3. Welche Rolle spielt beim Thema Nachhaltigkeit die Digitalisierung und warum?

Nachhaltigkeit in der Fertigung: Einsparung von Energie und Ressourcen

(Bild: Bosch Rexroth)

1. Wir betrachten Nachhaltigkeit im gesamten Produktlebenszyklus – die Fertigung ist darin integriert. In der Designphase unterstützt Bosch Rexroth material- und energieeffizientes Design. In der Einkaufs- und Logistikphase, als Vorstufe zur Fertigung, legen wir Wert auf einen geringen CO2-Fußabdruck der Materialien, lokale Beschaffung und energiesparenden Transport. In der Herstellung setzen wir Maßnahmen zur Energieeinsparung und Dekarbonisierung um und nutzen eigene erneuerbare Energien. In der Nutzungsphase bieten wir unseren Kundinnen und Kunden energieeffiziente Produkte und Systemlösungen sowie Service- und Wiederaufbereitungsmaßnahmen, die eine verlängerte Lebensdauer und Funk­tionalität der Produkte unterstützen. Damit werden Materialien im Wirtschaftskreislauf gehalten.

2. Der größte Anteil des ökologischen Fußabdrucks von Produkten wie unseren entsteht durch die verbrauchte Energie während der Nutzung – daher ist die Energieeffizienz der Produkte entscheidend. Durch die Berechnung des Product Carbon Footprints können der gesamte Lebenszyklus analysiert und die richtigen Hebel und Verbesserungsmaßnahmen definiert werden. Die CO2-Emissionen in der Produktion lassen sich durch Maßnahmen zur Energieeinsparung und Dekarbonisierung sowie durch den Einsatz innovativer Technologien reduzieren.

3. Die Digitalisierung kann zur effizienteren Ressourcennutzung beitragen. Durch Digitalisierungstools lassen sich Szenarien simulieren und analysieren, wodurch sich zum Beispiel die Anlageneffizienz verbessern lässt. Eine virtuelle Erprobung erfordert weniger physische Prototypen und somit weniger Material. Auch die Energie- und Leistungsflüsse innerhalb einer Maschine können mithilfe von Tools analysiert und Maßnahmen zur Energieeinsparung abgeleitet werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Transparenz des Datenflusses über die gesamte Lieferkette, um Materialien und Ressourcen optimal zu nutzen und länger im Kreislauf zu halten.

(Bild: Dassault Systèmes)

1. Nachhaltigkeit ist die Grundlage für den künftigen Erfolg von Unternehmen der Fertigungsindustrie. Für die Industrie geht es darum, die eigenen Umweltauswirkungen zu identifizieren und bei verschiedenen Faktoren anzusetzen – von der Reduzierung des eigenen CO2-Fußabdrucks und Energieverbrauchs über die Langlebigkeit von Maschinen bis hin zu umweltfreundlicheren Produkten in Bezug auf Herstellung, Gebrauch und Entsorgung. Für eine nachhaltige Fertigung braucht es branchenweite neue Geschäftsmodelle, hin zu einer Kreislaufwirtschaft, um den Lebenszyklus von Produkten zu verlängern und Abfälle auf ein Minimum zu reduzieren.

2. Einzelne isolierte Maßnahmen helfen wenig, wenn sie nicht Teil einer konsistenten Nachhaltigkeitsstrategie sind. Dabei spielt die Ökobilanzierung eine wichtige Rolle. Mit entsprechenden Lösungen lässt sich – auf Basis von Analysen, Datenbanken und vordefinierter Parameter – die Umweltverträglichkeit eines Produkts oder Bauteils in jeder Phase der Wertschöpfungskette berechnen und benennen. Das erlaubt fundierte, nachhaltige Entscheidungen bereits dort, wo die wichtigsten Weichenstellungen getroffen werden: im Design- und Entwicklungsprozess.

3. Echte Nachhaltigkeit erfordert disruptiven Wandel. Die Digitalisierung fungiert dabei als Katalysator: Mit digitalen Lösungen wie Simulationen und digitalen Kollaborationsplattformen lassen sich Veränderungen agil vornehmen, beispielsweise, indem Fabrikflächen und Fertigungspläne optimiert werden. Kernstück der Transformation sind vor allem virtuelle Zwillinge. Sie ersetzen nicht nur ressourcenintensive physische Prototypen, sondern erlauben auch eine kontinuierliche Optimierung von Produkten und Prozessen, um am Ende ein möglichst nachhaltiges Ergebnis zu erhalten.

Ganzheitliche Betrachtung ist wichtig

(Bild: Heitec AG)

1. Das Thema Nachhaltigkeit ist für die Fertigungsindustrie ganzheitlich zu betrachten. So sind nicht allein energetische Maßnahmen relevant zur Reduktion der Medienverbräuche wie Strom, Wasser, Druckluft oder Gas, sondern vielmehr auch der verantwortungsbewusste Umgang mit jeglicher Ressource bei der Produktherstellung. Die Ressource Mensch ist dabei nicht außer Acht zu lassen. So verleitet der Fachkräftemangel dazu, den Workload für den Einzelnen immer weiter zu erhöhen und im Zuge der digitalen Transformation auch Aufgaben bewerkstelligen zu wollen, für welche die Qualifika­tion nicht hinreichend vorhanden ist. Scheiternde Digitalisierung und Unzufriedenheit sind die Folgen. 

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Ebenso sind das Produktdesign und die Betrachtung des Produktlebenszyklus wesentlich. Beginnend vom regionalen Rohstoffzukauf mit nachweislichem CO2-Fußabdruck über den hocheffizienten Material- und Medieneinsatz in der Produktion bis hin zur Reparaturfreundlichkeit und der abschließenden Recy­clingfähigkeit, müssen alle Aspekte dahingehend betrachtet werden.

2. Am Anfang steht das Monitoring. Um eine sinnvolle und datengetriebene Entscheidung treffen zu können, müssen alle relevanten Daten valide erfasst und bewertet werden. Welche Akteure in der Fertigung haben den höchsten CO2-Output pro Stückgut in Bezug auf Rohstoff-, Maschinen- und Medieneinsatz? Erst wenn alle Daten vorliegen, lässt sich die energetische Prozess- und Fertigungsoptimierung erfolgreich umsetzen. Das spart Kosten, erhöht die Fertigungsqualität und trägt durch einen insgesamt höheren Output zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit bei.

3. Die Digitalisierung ist das mächtigste Werkzeug hin zu einer zukunftsfähigen Nachhaltigkeitsstrategie! Neben der validen Datenakquise spielen Datenkorrelationen und systemgetriebene Optimierungsempfehlungen eine entscheidende Rolle. Alle darauf aufbauenden Maßnahmen, ob zertifiziertes Energie- und CO2-Management, Maßnahmen zu Erlangung und Ausweisung eines wettbewerbsfähigen Product-Carbon-Footprint (PCF) oder der effiziente Ressourceneinsatz benötigen immer digitale Werkzeuge für die Umsetzung.

Die Fragen an die Experten:

  • 1. Welche Aspekte gehören für Sie zum Thema Nachhaltigkeit in der Fertigung?

  • 2. Wie können Unternehmen ihren ökologischen Fußabdruck  am effizientesten verringern?

  • 3. Welche Rolle spielt beim Thema Nachhaltigkeit die Digitalisierung und warum?

(Bild: PwC Strategy Deutschland)

1. Drei Aspekte sind hier essenziell: Erstens, ein klares Verständnis darüber, wie sich das Geschäftsumfeld entwickelt. Dazu gehören der regulatorische Rahmen für das Unternehmen sowie seine Kunden und Zulieferer, aber auch Wettbewerber und ihre Nachhaltigkeitsstrategie. Technologien, die auf Nachhaltigkeitsziele einzahlen, und externe Einflüsse auf die Fertigungsstandorte und die Lieferketten, etwa durch den Klimawandel, sind hier ebenfalls zu berücksichtigen. Daneben sollten Unternehmen um die eigene Ausgangssituation wie ihren CO2-Fußabdruck und ihre Fähigkeiten in diesem Bereich wissen.

Zweitens die Identifikation der wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen und einer Strategie. Unternehmen benötigen dazu eine klare Vision, ein relevantes Ambitionsniveau und Fokusthemen wie Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft oder nachhaltige und faire Lieferketten. 
Drittens muss die übergreifende Transformation in spezifische Teilziele für die einzelnen Unternehmensbereiche heruntergebrochen werden wie nachhaltige Produkte, Werke, Produktionsprozesse und Lieferketten sowie nachhaltige interne Steuerungslogik und strategische Partnerschaften mit Kunden oder Lieferanten.

2. Kurzfristig setzen viele Unternehmen am Scope 1 (direkte Emissionen) und Scope 2 (indirekte Emissionen) an und reduzieren ihre CO2-Emissionen etwa durch Effizienzmaßnahmen und den Einkauf von grüner Energie. Mittelfristig müssen auch Fertigungsprozesse und Werke neu ausgerichtet und die Emissionen in der Lieferkette (Scope 3) reduziert werden. Neben CO2 sind auch für den Wasserverbrauch oder die Biodiversität entsprechende Roadmaps zu entwickeln.

3. Digitalisierung kann dabei helfen, Transparenz zu schaffen und den Fortschritt zu überwachen, indem etwa Energieverbräuche, der CO2-Fußabdruck oder Scope-3-Emissionen identifiziert werden. Bei der Planung, Simulation und Steuerung der Dekarbonisierungs-Roadmap sowie der funktionalen Transformation helfen Portfolio-Tools, um die Nachhaltigkeitstransformation des Gebäudebestands über die Zeit zu steuern, oder Bewertungstools für Capex- und Einkaufsentscheidungen unter Einbeziehung der Nachhaltigkeitswirkungen.

Nachhaltigkeit in der Fertigung ist mehr als ein Konzept

(Bild: Schneider Electric)

1. Aus meiner Sicht ist es zunächst wichtig, Nachhaltigkeit nicht einseitig als ökologisches Konzept zu verstehen. Es geht um viel mehr! Denn gerade in Krisenzeiten ging und geht es beim Thema Nachhaltigkeit immer um eine resiliente Art des Wirtschaftens, die gerade deshalb so erfolgreich ist, weil sie im Einklang mit ihrer Umwelt erfolgt. Und zu dieser Umwelt zählen neben dem Klima oder der Natur eben auch soziale, kulturelle, kaufmännische und viele weitere Faktoren. Nachhaltig wirtschaften – ob in der Fertigungsindustrie oder in anderen Bereichen – bedeutet somit nicht nur klimafreundlicher zu wirtschaften, es bedeutet immer auch, smarter und resilienter zu wirtschaften.

2. Gerade in der Fertigungsindustrie spielt der Automatisierungsgrad eine wichtige Rolle. Und daran lässt sich auch das wirtschaftliche Potenzial der Nachhaltigkeit gut illustrieren. Denn eine ganz zentrale Nachhaltigkeitseigenschaft von Maschinen und Anlagen ist die Flexibilität. Eine hochgradig wandelbare Anlage ist in der Lage, auch kleine Losgrößen wirtschaftlich rentabel zu produzieren und Ressourcen nachfragegerecht zu nutzen. So lassen sich Abfälle vermeiden, Rohstoffe sorgsam einsetzen und Energieverbräuche reduzieren. Das wirkt sich bei der Umwelt- und Klimabilanz, aber eben auch bei den Betriebskosten positiv aus.

3. Die Digitalisierung im Sinne des Internets der Dinge ist die Schlüsseltechnologie für nachhaltig erfolgreicheres Wirtschaften. Denn mit ihrer Hilfe ist es oft schon mit niedrigschwelligen Lösungen möglich, den Wirkungsgrad von Maschinen und Anlagen um ein Vielfaches zu erhöhen. Denken Sie etwa an Themen wie vorausschauende Wartung oder Energieeffizienz. Mit der nötigen Datentransparenz lassen sich Ineffizienzen oder Verschleiß deutlich besser identifizieren, und Workflows können überprüfbar optimiert werden. Außerdem ist es mit digitalen Tools viel einfacher möglich, elektrische Antriebe ideal auszulegen und einzustellen. So lässt sich die Energieeffizienz von Fertigungsanlagen oft noch weiter steigern.

(Bild: Siemens Digital Industries)

1. Zum einen geht es uns bei Siemens um die Nachhaltigkeit bei den eigenen Betriebsabläufen: Fuhrpark, Produktionsstandorte und Geschäftsreisen. Hier schauen wir uns an, wie groß der Fußabdruck ist, den wir in unserer Arbeit hinterlassen. Dann fokussieren wir uns auf unsere eigenen Hardwareprodukte – wie sie hergestellt werden, wie Lieferketten gestaltet sind und wie lange die Produkte im Einsatz sind. Drittens bieten wir Kunden Lösungen und Werkzeuge, damit diese selbst in ihrem Geschäft nachhaltiger werden. Das beinhaltet zum Beispiel Konstruktions- und Simula­tionssoftware, integriertes Engineering und transparenten Anlagenbetrieb oder auch energieeffiziente Motoren und Antriebssysteme.

2. Das größte Potenzial sehe ich insbesondere in der energie­effizienten und ressourcenschonenden Produktion über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg sowie in der Kreislaufwirtschaft. Wir entwickeln laufend noch effizientere Maschinen und Prozesse, die helfen, mit weniger Ressourcen mehr zu erreichen. Dazu zählt unser ganzheitliches digitales Energiemanagement-System oder unsere Software für CO2-Management Sigreen. Noch mehr Transparenz schaffen wir auch mit dem Siemens EcoTech-Label. Dieses basiert auf umfangreichen Daten aus der Umwelt-Produktdeklaration (EPD). Die Lebenszyklusleistung eines Produkts lässt sich damit anhand von Ökodesign-Kriterien bewerten: nachhaltige Materialien, optimale Nutzung sowie Wertrückgewinnung und Kreislaufwirtschaft.

3. Um den Anforderungen an die Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft gerecht zu werden, brauchen unsere Kunden flexible Lösungen. Das funktioniert nur mit Automatisierung und Digitalisierung. Beispielsweise können produzierende Unternehmen mit einem digitalen Zwilling ihre Produktionsprozesse simulieren. Oder Maschinen lassen sich virtuell in Betrieb nehmen. Künstliche Intelligenz kann man unter anderem für die vorausschauende Wartung nutzen. Das kann nicht nur Zeit oder Geld sparen, sondern auch CO2 oder wertvolle Materialien.

(Bild: Syntegon)

1. Energieeffizienz spielt seit Jahren eine wichtige Rolle in der Nachhaltigkeitsstrategie von Fertigungsunternehmen wie Syntegon – schon aus Kostengründen. Im Fokus stehen Prozesse vor und nach der Fertigung, wie die Beschaffung wichtiger Produktkomponenten und die Verwendung des fertigen Produktes durch unsere Kunden.

2. Wenn fertigende Unternehmen sich ihren ökologischen Fußabdruck genauer ansehen, stellen die meisten von ihnen fest, dass ihre Lieferkette und die Nutzung ihrer Produkte durch die Kunden den größten Anteil an den eigenen CO2-Emissionen verursachen. Bei der Reduktion des ökologischen Fußabdrucks müssen diese Unternehmen deshalb den gesamten Lebenszyklus der Produkte betrachten.

Bei Verpackungsanlagen von Syntegon entfallen oft mehr als 95 Prozent der CO2-Emissionen auf die Nutzungsphase, vor allem durch den Energiebedarf der Anlagen in der Produktion. Lediglich zwei bis drei Prozent entstehen während der Herstellung unserer Anlagen. Umso wichtiger ist es, den Energieverbrauch unserer Maschinen und Produktionsprozesse zu optimieren.

3. Eine sehr große: Syntegon bietet ein Paket aus intelligentem Energiemonitoring und der Ermittlung von CO2-Effekten an – weil digitale Lösungen einfach effizienter und nachhaltiger arbeiten. Diese zeigen, dass die Anpassungen des Stand-by-Betriebs von Heißsterilisationstunneln dazu beitragen können, bis zu 15 Prozent Energie einzusparen. Ein optimierter Leimauftrag beim Kartonverpacken kann den CO2-Fußabdruck sogar um 30 Prozent senken – bei gleichbleibender Qualität.