Model-Based Systems Engineering: Ist MBSE eine kulturelle Transformation?

Verantwortlicher Redakteur:in: Rainer Trummer 4 min Lesedauer

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Entwicklungsprozesse werden immer komplexer. Um diese durchgängig digital abbilden zu können, setzen Unternehmen zunehmend auf Model-Based Systems Engineering (MBSE). Dassault erläutert, welche Vorteile es bietet und was bei der Implementierung zu beachten ist.

(Quelle: DIgilife/AdobeStock)

Der digitale Wandel ist längst keine temporäre Erscheinung mehr, sondern die Norm, und beschleunigt sich zudem immer mehr. Das alles verlangt von Unternehmen größtmögliche Agilität. Schnelle Veränderungen in Reaktion auf Trends, Entwicklungen und Krisen sind essenziell, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein Ansatzpunkt, um aktuellen Herausforderungen zu begegnen, ist eine verbesserte Zusammenarbeit im Entwicklungsprozess. Genau hier kann Model-Based Systems Engineering (MBSE) Unternehmen helfen.

So gelingt effiziente Produktentwicklung

Systems Engineering verfolgt einen holistischen Ansatz mit dem Ziel, die Produkt­entwicklung effizienter zu gestalten und die Komplexität überschaubar zu machen. Zugrundeliegende Idee ist die Verknüpfung aller beteiligten Domänen zu übergreifenden Prozessen – vom Anforderungsmanagement über die Software- und Hardwareentwicklung bis hin zu Simulation und Test. So kann der gesamte Entwicklungsprozess stets von allen Blickwinkeln betrachtet und die Komplexität besser überblickt werden. MBSE setzt dabei auf Modelle, um Informa­tionen nachverfolgbar darzustellen, und ermöglicht digitale Durchgängigkeit entlang des gesamten Produktentwicklungszyklus – ein Faktor, bei dem viele Unternehmen aktuell noch Nachholbedarf haben und den sie auf ihre Agenda zur digitalen Transformation gesetzt haben.

Zahlreiche Vorteile von Model-Based Systems Engineering

Mit MBSE lässt sich die übergreifende Kollaboration zwischen den unterschiedlichen Stakeholdern deutlich vereinfachen. Das gilt intern über die verschiedenen Domänen hinweg wie für die externe Zusammenarbeit mit Partnern, Zulieferern und Kunden. So können etwa bei Änderungen Abhängigkeiten leicht identifiziert und Lösungsansätze analysiert werden. Besonders zum Tragen kommen die Vorteile, wenn die Informa­tionen als durchgängiges Datenmodell webbasiert (Cloud oder on-premise) über den gesamten Produktlebenszyklus zur Verfügung stehen, wie es die 3DExperience Plattform von Dassault Systèmes ermöglicht. Wenn alle Beteiligten zu jedem Zeitpunkt auf dieselben Informationen als Single Source of Truth zugreifen können, erleichtert dies die Zusammenarbeit und macht sie effizienter. Unnötige Iterationen fallen weg, es bleibt mehr Zeit für Verbesserungen und Innovationen.

Nicht unerheblich ist zudem der Kostenfaktor beim Testen: Durch die Verknüpfung der Daten ermöglicht MBSE Simulationen über verschiedene Domänen hinweg bis zu einer kompletten Systemsimulation. Statt kostspieliger Prototypen fungieren hier virtuelle Zwillinge in Form von Modellen als digitale Testobjekte zur Bewertung des Systems mittels simulationsbasierter Analysen. Systems Engineering kann Produktentstehungsprozesse somit auch kostenseitig optimieren.

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einführung

Jedes Unternehmen hat unterschiedliche Bedarfe. Es sind daher einige Vorüberlegungen nötig, um zu entscheiden, in welchem Umfang eine Implementierung von MBSE zielführend ist. Welche Aspekte des Entwicklungsprozesses und welche Rollen sind in erster Linie betroffen? Wie weit ist die Digitalisierung im eigenen Unternehmen bereits fortgeschritten? Sind diese Fragen hinreichend beantwortet, dann braucht es vor allem Investment und Unterstützung von Seiten des Managements. MBSE ist die kulturelle Transformation eines Unternehmens, den Systemgedanken und die übergreifende Kollaboration im gesamten Produktentstehungsprozess und eventuell darüber hinaus zu etablieren. Dieser kulturelle Wandel erfordert es, die Mitarbeiter und externen Partner eines Unternehmens Schritt für Schritt in die Transformation zu integrieren und ihnen immer wieder die Mehrwerte aufzuzeigen.

Einfacher Datenaustausch dank Normen und Standards

Da Model-Based Systems Engineering immer flächendeckender und über alle Industrien hinweg Anwendung findet, hilft ein einheitliches Regelwerk. Normen und Standards stellen sicher, dass auch die Kontinuität und Kollaboration zwischen
unterschiedlichen Tools von verschiedenen Anbietern funktioniert. Eines der beliebtesten Hilfsmittel ist die Systems Modeling Language (SysML). Die Modellierungssprache für die Spezifikation von Sys­tem­architekturen wird industrieübergreifend eingesetzt. Das bringt weitere Vorteile mit sich: Standards vereinfachen nicht nur den Datenaustausch im und zwischen Unternehmen, sondern sie erleichtern auch das Recruiting. Nutzen viele Fachkräfte den gleichen etablierten Standard, sind potenzielle neue Mitarbeitende leichter zu finden.

(MBSE ermöglicht als Kernelement in der Produktentwicklung effiziente digitale Zusammenarbeit über alle Domänen. Bild: Gorodenkoff/AdobeStock)

Model-Based Systems Engineering schafft Nachhaltigkeit

Die Bedeutung von Systems Engineering wird in Zukunft noch weiter zunehmen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es Mega­trends wie das Thema Nachhaltigkeit positiv beeinflussen kann. MBSE hilft dabei, Produkte, aber auch den Entwicklungsprozess selbst, nachhaltiger zu gestalten. Ein Beispiel zeigte Dassault Systèmes gemeinsam mit mehreren Partnern auf der Hannover Messe 2022. Der Showcase bildete die komplette, durchgängig digitale Wertschöpfungskette einer Produktionsanlage für umweltfreundliche Wasserstoff-Brennstoffzellen ab. Ziel war es, den elektrischen Stromverbrauch der Anlage für den Stacking-Prozess zu minimieren. Mithilfe von Systems Engineering konnten die Optimierungspotenziale identifiziert und in einem nachgelagerten Schritt die Optimierung durchgeführt werden. Dies führte zu einer Reduzierung von vier Prozent beim elektrischen Stromverbrauch.

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Trends und Anwendungsszenarien

Bei vielen Produkten dominieren Elektronik sowie Software die Entwicklung und das Kundenerlebnis. Bestes Beispiel sind Autos, die zunehmend zu „Software-Defined Vehicles“ werden. Die Softwareentwicklung mit ihren spezifischen Anforderungen und agilen (Projektmanagement-)Methoden muss daher künftig noch stärker in ein übergreifendes Systems Engineering einbezogen werden.

Ein weiterer Trend betrifft die Vernetzung von Systemen beziehungsweise ihre Verknüpfung zu komplexeren Systemen. Solch ein System-of-Systems-Ansatz kommt etwa in Smart Cities zum Einsatz. So könnte das System eines autonomen Fahrzeugs mit einem intelligenten Parkleitsystem verknüpft werden. Auch hier bestehen schon Lösungsansätze, beispielsweise mit UAF (Unified Architecture Framework), um entsprechende Organisationen, Strukturen, Anforderungen und deren Abhängigkeiten miteinander modellieren und spezifizieren zu können.

Die Szenarien zeigen: Model-Based Systems Engineering kann Antworten auf viele aktuelle und künftige Herausforderungen liefern. Während es in einigen Industrien bereits heute unersetzlich ist, wird es in naher Zukunft auch industrieübergreifend nicht mehr ohne gehen. MBSE wird so zum Kernelement der Produktentwicklung – und zum integralen Bestandteil der Wettbewerbs­fähigkeit von Unternehmen.

Der Autor Thorsten Gerke ist Cyber Systems Industry Process Senior Consultant bei Dassault Systèmes.

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