Automation Neue Maschinenverordnung in der industriellen Thermoprozesstechnik

Ein Gastbeitrag von Markus Kick 6 min Lesedauer

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Am 20. Januar 2027 tritt die neue Maschinenverordnung 2023/1230 (MVO) endgültig in Gänze in Kraft. Gegenüber der bestehenden Maschinenrichtlinie 2006/42/EG gibt es zahlreiche Änderungen. Welche das sind, was dabei zu beachten ist und wie die maßgeschneiderten Dienstleistungen sowie generischen digitalen Lösungen und Produkte von Phoenix Contact die Unternehmen dabei unterstützen, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Sichere und nachhaltige Digitalisierung in der Thermoprozesstechnik.
Sichere und nachhaltige Digitalisierung in der Thermoprozesstechnik.
(Bild: Nimit Ketkham/Shutterstock.com)

Anders als bei früheren Richtlinien handelt es sich bei der neuen Maschinenverordnung 2023/1230 um eine geltende Rechtsvorschrift, die in allen EU-Mitgliedsstaaten verbindlich anzuwenden ist. Die MVO sorgt für den Gesundheitsschutz und die Sicherheit der Menschen, die regelmäßig mit den Prozessen, Maschinen und Anlagen arbeiten. Viele Unternehmen stellen sich jetzt die Frage: Was ändert sich bei der neuen Maschinenverordnung nun gegenüber der bestehenden Maschinenrichtlinie 2006/42/EG? Ein kurzer Überblick gibt Aufschluss:

  • Im Bereich der Cybersicherheit, künstlichen Intelligenz und Cobots ergeben sich neue Anforderungen.

  • Der Begriff des Sicherheitsbauteils wird erweitert und umfasst jetzt auch Software und andere digitale Komponenten, die für sich allein stehen und Sicherheitsfunktionen ausführen.

  • Für Hochrisikomaschinen werden neue Konformitätsbewertungsverfahren eingeführt.

  • Die Betriebsanleitung und Konformitätserklärung stehen in digitaler Form zur Verfügung.

  • Die Definition einer Maschine wird ergänzt.

  • Die Reihenfolge der einzelnen Artikel und Anhänge ändert sich.

  • Die Begriffe der wesentlichen Veränderungen und wesentlichen Modifikation werden konkretisiert.

Zahlreiche der in der MVO genannten Artikel gehen bald in die Umsetzung, weshalb sich die betroffenen Sektoren unmittelbar mit den Auswirkungen befassen müssen.

Maschinenverordnung umsetzen: Hinzuziehung von Spezialisten

Bei der Maschinenverordnung denken viele Anwender zuerst an den klassischen Maschinen- und Anlagenbau, zum Beispiel ein Bearbeitungszentrum in einem metall­verarbeitenden Betrieb. Es gibt jedoch einen branchenübergreifenden Bereich, der nicht unbedingt mit einer Maschine oder Anlage in Verbindung gebracht wird. Die entsprechenden Systeme sind durch ihre Produkt- oder sogenannten C-Normen bereits in der aktuellen Maschinenrichtlinie und zukünftig der MVO aufgeführt. Es handelt sich dabei um Maschinen und Anlagen der industriellen Thermoprozesstechnik. Für diesen industrieübergreifenden Maschinenbau stellen die neuen Anforderungen der MVO eine große Hürde dar. Endanwender, Systemintegratoren und die Maschinenbauer selbst benötigen daher eine umfassende und ganzheitliche Unterstützung.

Gemeinsam mit dem unternehmens­eigenen Industrial Security & Safety Service bietet das globale Vertical Market Management von Phoenix Contact im Umfeld der Fabrikauto­mation und Digitalisierung ein passendes Portfolio an. Dieses beinhaltet maßgeschneiderte Dienstleistungen sowie generische­ digitale Lösungen und Produkte, die bei einer Zertifizierung den Unterschied ausmachen können. Von großen DAX-Unternehmen bis zu mittelständischen Betrieben vertrauen zahlreiche Anwender auf die langjährige und übergreifende Kompetenz des Auto­matisierungsspezialisten in puncto umfassende Sicherheit im Industrieumfeld.

Sicherstellung von Anlagenverfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit

Dies gilt insbesondere, wenn es neben der Bewertung der funktionalen Sicherheit auch um die Beurteilung der Datenkommunikation an und innerhalb der Maschine geht. Hierbei kann es sich um die Hauptbrennstoff-Sicherheitsstation einer Schmelzwanne in der Glasindustrie im Hochtemperatur­betrieb oder eines Backofens in der Lebensmittelindustrie als Niedertemperaturanlage handeln. Die Notwendigkeit, in kurzer Zeit Daten aus den Maschinen und Anlagen zur Feuerung zu gewinnen, wird durch die derzeitige wirtschaftliche und klimapolitische Lage mehr als deutlich.

Bild 1: Gerade energieintensive Branchen wie die Glasindustrie müssen im Zuge der neuen MVO ihre Maschinen, Brennstoffstationen und Öfen nicht nur nachhaltig, sondern sicher bewerten.
Bild 1: Gerade energieintensive Branchen wie die Glasindustrie müssen im Zuge der neuen MVO ihre Maschinen, Brennstoffstationen und Öfen nicht nur nachhaltig, sondern sicher bewerten.
(Bild: Aleksandar Malivuk/ Shutterstock.com)

Energieintensive Branchen wie Stahl, Glas, Keramik oder die Nicht-Eisenmetallurgie stehen wegen der Energiewende vor der Herausforderung, die vorhandene Thermoverarbeitung entlang der gesamten Fertigung auf CO2-arme respektive CO2-freie Prozesse umzustellen. Aufgrund der geopolitischen Veränderungen und der vielen Klimakatastrophen muss sofort agiert werden. Minimalinvasive offene Technologien schaffen hier nachhaltige Infrastrukturen, die das menschliche Leben schützen, also für funk­tionale Sicherheit sorgen. Gleichzeitig tragen zertifizierte, offene und datensichere Digitalisierungs- und Automatisierungsplattformen zur Realisierung zukunftssicherer Lösungen bei (Bild 1).

Zur Umsetzung einer erfolgreichen Energiewende sind besonders die wärmetechnischen Anlagen für den Betrieb mit Strom aus erneuerbaren Energien oder anderen zukünftigen CO2-armen Energieträgern auszulegen. Zugleich müssen die Energie- und Anlagenverfügbarkeit sowie Produktqualität und Wirtschaftlichkeit sichergestellt sein. Ferner ist ein Um- respektive Überdenken konventioneller Beheizungskonzepte hinsichtlich einer CO2-armen oder CO2-freien Prozesswärmeerzeugung unerlässlich.

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Maschinenverordnung: Berücksichtigung neuer Energiequellen

Als neue Gasinfrastrukturquelle für moderne Gas- und Wasserstoffnetze spielt das Power-to-Gas-Prinzip (PtG) eine wichtige Rolle – vor allem für die sicherheitstechnische Beurteilung des Brennofens oder der Schmelzwanne. Wasserstoff und dessen Gemische resultieren unter anderem in einer Reduzierung des Luftbedarfs, Änderung des Heizwerts sowie steigenden Flammentemperaturen und Verbrennungsgeschwindigkeiten. Hinzu kommen erhöhte Stickoxide (NO) respektive Stickstoffoxide (NO2), kurz NOx-Gemische genannt. Auf der Grundlage verschiedener Standards betrifft das insbesondere die Maschine, somit je nach Thermoprozess die Schmelzwanne, den Ofen oder den Kessel, die Versorgungstechnik, den Brenner sowie speziell die Steuerung und das Automatisierungssystem des Thermoprozesses, sofern dies überhaupt vorhanden ist.

Bild 2: Offene Ökosysteme sind der entscheidende Vorteil bei der Umstellung auf neue digitale Brennprozesse.
Bild 2: Offene Ökosysteme sind der entscheidende Vorteil bei der Umstellung auf neue digitale Brennprozesse.
(Bild: gyn9037/Shutterstock.com)

Die Thermoprozesse müssen Industrie-4.0-ready beziehungsweise mit maximal effektivem Return on Invest (ROI) smart und minimalinvasiv integriert werden. In der Vergangenheit haben die Anwender lediglich an DCS-, ERP- und MES-Systeme, Sensoren, Maschinen und Anlagen einer Fabrik gedacht, wenn es um die Digitalisierung ging. Übersehen oder in sperrigen dezentralen Systemen vergessen wurden die konventionellen, teils noch mechanischen Ausrüstungen, die für das Brennstoff-Luft-Verhältnis, die Rückzündungen, Zündtemperaturgrenzen, Ventildichtigkeit, Oberofentemperaturen, Flammenüberwachung, Durchflüsse oder Drücke verantwortlich sind.

Anforderungen an moderne Automatisierungslösungen

In Zukunft muss sich die Thermoprozesstechnik den folgenden Anforderungen stellen:

  • Betrieb der Mischbefeuerungen, Regelungsverfahren, Abgaszirkulierungen, Spülverfahren oder Brennstoffstrecken in offenen ganzheitlichen Ecosystemen oder Plattformen (Bild 2);

  • Möglichkeit der nachträglichen, protokoll­unabhängigen und skalierbaren Einbindung von aktuellen und zukünftigen Sensoren zur Brenn- und Abgasanalyse;

  • Umsetzung der funktionalen Sicherheit für den Ofen, die Schmelzwanne oder den Kessel in Kombination mit Cybersicherheit gemäß IEC 62443 respektive NIS 2;

  • Optionale zustandsorientierte Überwachung und Optimierung der Maschine oder Anlage auf der Grundlage von Machine Learning (ML) und Industrial Internet of Things (IIoT) – off- und vor allem on-premise.

  • Erhöhung der Agilität durch Low- oder No-Code-Anwendungen für eine einfache, individuelle und skalierbare Anpassung an die sich ändernden Brennstoffstrecken. Dazu kommen einheitliche Parametrieroberflächen auf der Grundlage von plattformübergreifenden Open-Source-Applikationen, beispielsweise Grafana, zum Einsatz.

Maschinenverordnung: Machine Learning zur Prozessoptimierung einsetzen

Durch das frühzeitige Erkennen von ungewöhnlichen Verhaltensmustern – etwa bei Gasschwankungen oder Lastkurven – durch PLCnext Technology und deren offene, zugriffssichere Softwarelösungen zur Prozessoptimierung lassen sich nicht nur Störungen und Änderungen in den Verbrennungs­prozessen vermeiden. Der vorausschauende Ansatz bietet weitere wirtschaftliche wie nachhaltige Vorteile:

  • Steigende Gesamtanlageneffektivität (OEE) in den Thermoprozessmaschinen und damit eine deutliche Reduzierung des Ausschusses;

  • Effektives und smartes Betreiben der Brennstoff-Luft-Verhältnisse und der elektrischen Heizsysteme durch das Einsparen teurer externer Hardware;

  • Standortübergreifende zustandsbasierte Überwachung des Prozesses unter Integration sicherheitsrelevanter Sensorik zur Messung zum Beispiel von Emissionen, Temperaturen und Drücken.

Bild 3: Intelligente, skalierbare und datensichere Prozessoptimierung mit MLnext.
Bild 3: Intelligente, skalierbare und datensichere Prozessoptimierung mit MLnext.
(Bild: Phoenix Contact)

Über den Online-Marktplatz PLCnext Store stellt Phoenix Contact neben vielen weiteren Apps das Machine-Learning-System MLnext bereit. Die Software unterstützt bei der Beherrschung von Fehlverhalten und der vorausschauenden Verbesserung der Emissionen. 
Zur Prozessoptimierung benötigt MLnext lediglich eine Steuerung oder ein Edge Device mit Container-Visualisierung, wie die Docker-fähige PLCnext Control (Bild 3).

Zertifizierung der funktionalen und OT-Security

Die OT-Security-Zertifizierung der Produktfamilie PLCnext Control durch den TÜV Süd gemäß IEC 62443-4-2 setzt in Verbindung mit der bestehenden Safety-Zertifizierung neue Maßstäbe. Bei der IEC 62443 handelt es sich um den international führenden Standard für OT-Security. Die funktionale Sicherheit wird durch die Sicherheitsnormen IEC 61508, ISO 13849 und IEC 62061 definiert. Um erfolgreiche Automatisierungslösungen zu realisieren, müssen in Zukunft beide Sichtweisen miteinander verknüpft werden. Aufgrund der Forderung nach Manipulationsschutz und der Einbeziehung des Fernzugriffs auf Maschinen und Anlagen rückt der Aspekt der OT-Security in der kommenden Maschinenverordnung (MVO) stärker in den Fokus. Die zertifizierte PLCnext Control-Familie setzt die Anforderungen bereits um (Bild 4).

Bild 4: Das offene Ökosystem PLCnext Technology vereint die funktionale und Datensicherheit auf einer Plattform.
Bild 4: Das offene Ökosystem PLCnext Technology vereint die funktionale und Datensicherheit auf einer Plattform.
(Bild: Phoenix Contact)

Bei der Realisierung der Maschinenverordnung brauchen die Maschinen- und Anlagenbetreiber verlässliche Partner. Automatisierungshersteller müssen ihre Kunden dazu befähigen, die Standards moderner Umwelt-, Safety-, ­Security- und IIoT-Anwendungen zu erfüllen. Aus diesem Grund hat Phoenix Contact ein zukunftsweisendes offenes Ökosystem für Steuerungen, I/O-System und Edge-Software-Applikationen entwickelt. Von der Klemme bis zum Smart Service sowie für den Schaltschrank und die Feldinstallation beinhaltet das Portfolio (fast) alle erforderlichen Komponenten, Systeme, Lösungen und Dienstleistungen. 

MaschinenverordnungMarkus Kick
ist International Business Development Manager Digitalisierung und Thermoprozesstechnik bei Phoenix Contact Electronics in Bad Pyrmont.

Bildquelle: Phoenix Contact