Modellbasiertes Systems Engineering: Der sichere Weg zum innovativen Produkt

Verantwortlicher Redakteur:in: Rainer Trummer 7 min Lesedauer

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Die Welt des Ingenieurwesens und der Produktentwicklung beruht auf der ständigen Verbesserung von Verfahren und Technologien. Es gibt Fortschritte, mit denen wir tagtäglich bewusst umgehen, und Infrastrukturverbesserungen, die unser Leben insgesamt verbessern, aber an die wir vielleicht keinen zweiten Gedanken verschwenden. Unabhängig davon, ob ein Unternehmen das nächste persönliche Elektronikprodukt entwickelt oder an einem nachhaltigeren Verkehrssystem arbeitet – der konstruktive Aufwand für Verbesserungen explodiert.

(Quelle: Ameer/AdobeStock)

Die Entwicklungsarbeit verteilt sich in vielen Branchen auf mehr Disziplinen; Software und Elektronik werden zu wichtigen Wertfaktoren für traditionell mechanische Produkte. Führungskräfte aus dem Ingenieurwesen auf der ganzen Welt sind auf der Suche nach besseren Methoden zur Integration dieser Systeme, die für die Entwicklung der nächsten Generation innovativer Produkte genutzt werden. Sie suchen nach einer Lösung, um ihre Produkte schneller auf den Markt zu bringen und von der wachsenden Nachfrage nach intelligenten und vernetzten Produkten zu profitieren. Die nächste Generation „Modellbasiertes Systems Engineering“ (MBSE) ist diese Methode - sie bietet eine digitalisierte Lösung, die die Komplexität dieser integrierten Systeme bewältigen und überlegene Produkte liefern kann.

Modellbasiertes Systems Engineering: Vom Entwicklungsprozess bis zum Servicebetrieb

Vielen aus der Automobil-, Elektronik- und Luft- und Raumfahrtindustrie dürfte modellbasiertes Systems Engineering bekannt sein. Eine frühere Implementierung und ein früheres Toolset wurden in diesen Branchen jahrzehntelang als Weiterentwicklung des Systems Engineering eingesetzt, aber es ist wichtig zu verstehen, dass ein moderner MBSE-Ansatz ganz anders aussieht und funktioniert als frühere Iterationen. Der wohl wichtigste Unterschied ist die Art und Weise, wie die Informationen über das System erfasst, gespeichert und weitergegeben werden.

Anstelle von Diagrammen auf einer Kreidetafel oder in PowerPoint erstellten Modellen werden Daten zentral mit sicheren Verbindungen zu anderen relevanten Informationen gespeichert. Dies bildet die Systemarchitektur oder Roadmap vom Entwicklungsprozess bis hin zum Servicebetrieb. Die verschiedenen Prozesse in der Produktentwicklung werden durch digitale Arbeitsabläufe unterstützt, welche die in einem Domänenwerkzeug getroffenen Entscheidungen und Arbeiten mit dem digitalen Zwilling verbinden. Diese Single Source of Truth macht die Daten leichter zugänglich und wertvoll für die multidisziplinäre Entwicklung heutiger und zukünftiger Produkte.

Systemarchitektur ist Startpunkt jedes Projekts

Die Systemarchitektur ist der wichtigste Aspekt des modellbasierten Systems Engineering, und obwohl sie viele Rollen in einem Unternehmen umfasst, besteht die Hauptfunktion in der Verwaltung von Entwicklungsprozessen über die gesamte Geschäfts- und Wertschöpfungskette hinweg. Die Arbeit an der Systemarchitektur ist der Startpunkt jedes Projekts, sei es in der Konzeptphase eines neuen Produkts oder bei der Qualifizierung der Anforderungen eines bereits vorhandenen Produkts. Die Systemarchitektur wird zur Definition dessen, was der Markt benötigt, und zur Blaupause für die Entwicklung. Wie definiert sich ein Erfolg? Wie werden Entwicklungsentscheidungen verifiziert und validiert? Und wer wird mit der Verfeinerung der Systeme in eine bereichsspezifische Definition beauftragt, sei es mechanisch, softwaretechnisch, elektronisch oder sogar betriebswirtschaftlich?

Digitalisierung demokratisieren

Die Informationen, die in einer Systemarchitektur enthalten sind, können recht umfangreich sein, beispielsweise können dies Anforderungen von Aufsichtsbehörden, Fertigungsbeschränkungen der vorhandenen Infrastruktur oder auch Zielkonfliktstudien sein, die in einem frühen Stadium der Entwicklung durchgeführt werden. Die effektive Koordinierung dieser Informationen erfordert eine standardisierte Methodik. Für Systemingenieure sind deshalb Modellierungssprachen wie SysML und Modellierungstools wie System Modeling Workbench unerlässlich. Traditionell wurde jede Entscheidung, jede Analyse und jeder Prozess innerhalb der Entwicklung zu einer kleinen Gruppe von Systemingenieuren zurückgespiegelt, die das Wissen zu den verschiedenen Gruppen weiterverteilten.

Doch die zunehmende Vernetzung der heutigen Produkte macht dies zu einem schwierigen, wenn nicht gar unmöglichen Unterfangen. Stattdessen beginnen Unternehmen, die intelligente und vernetzte Flugzeuge, Automobile oder auch schwere Maschinen entwickeln, den Prozess durch Digitalisierung zu demokratisieren. Relevante Entscheidungen werden an die multidisziplinären Gruppen weitergegeben, und ihre Investitionen in das System der Systeme werden an alle zurückgegeben, die von den Veränderungen betroffen sind. Die Anwendung dieser Methodik ist nur durch eine effektive Kommunikation möglich.

Gefragt ist eine effektive Kommunikation

Eine robuste Systemarchitektur ist für fast jedes Unternehmen von großem Wert, aber ohne Kommunikation zwischen allen Beteiligten gibt es keine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen. Möglicherweise gibt es sie überhaupt nicht. Eine Systemarchitektur ist darauf angewiesen, dass jede Abteilung dem System einen Kontext hinzufügt. Die Kommunikation hat sich in den letzten Jahren im MBSE-Workflow dramatisch verbessert und wird sich mit SysML v2, der Modellierungssprache der nächsten Generation für Systems Engineering, noch weiter beschleunigen.

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Die meisten innovativen Branchen arbeiten immer noch mit digitalen Dokumenten, um das Verständnis ihrer komplexen Systeme zu vermitteln. Es besteht jedoch eine Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach einem verlässlichen roten Faden vom Konzept bis zum Service und dem Vorhandensein eines solchen. Das ist auf die mangelnden Fähigkeiten der Tools und den erforderlichen Kulturwandel zurückzuführen, der für das Vertrauen in eine Single Source of Truth erforderlich ist.

(Im Notbremssystem eines autonomen Fahrzeugs müssen die Elektronik und die Software beispielsweise eine Reihe von Faktoren berücksichtigen, um ein Hindernis zu erkennen und sicher anzuhalten. Bild: metamorworks/AdobeStock)

Wertversprechen eines modernen MBSE-Ansatzes

SysML v2 zielt darauf ab, die Kommunikation für modellbasiertes Systems Engineering zwischen den Bereichen Mechanik, Elektronik, Elektrik und Software zu verbessern. Frühere Implementierungen konnten viele der komplexen Systeme, die für Flugzeuge oder Automobile erforderlich sind, nicht modellieren, da die Modellierungssprache auf der Universal Modeling Language aufbaut, die ursprünglich nur für die Softwareentwicklung entwickelt wurde. Aufgrund der fehlenden nativen Funktionen sahen sich große OEMs und Konstruktionsbüros gezwungen, benutzerdefinierte Erweiterungen für SysML zu kaufen und zu erstellen, um die Lücke zu schließen.

Dadurch wurde jedoch der Zweck einer standardisierten Modellierungssprache zunichte gemacht, da Zulieferer und manchmal sogar andere interne Abteilungen die Informationen und Modelle innerhalb der Systemarchitektur nicht nutzen konnten. Das Ziel von SysML v2 ist es, die durch das UML-Erbe auferlegten Beschränkungen zu beseitigen und eine Syntax zu integrieren, die es ermöglicht, die täglich genutzten Modelle von Systemarchitekten und Unternehmen zu handhaben. Eine ordnungsgemäße Kommunikation wird den mit der nachgelagerten Wiederverwendung verbundenen Wert erweitern - möglicherweise das größte Wertversprechen eines modernen MBSE-Ansatzes.

Durch modellbasiertes Systems Engineering Komplexität des Codes verringern

Kommunikation ist wichtig, um eine genaue Systemarchitektur zu erstellen, diese innerhalb einer Organisation zu verbreiten und damit die Entwicklung abzubilden. Zudem ermöglicht Kommunikation auch die Wiederverwendung der äußerst wertvollen Informationen, die diese Modelle enthalten. Die nachgelagerte Wiederverwendung ist einer der am schwierigsten zu definierenden Vorteile für ein Unternehmen, da sie in einer sehr breiten Palette von Anwendungen auftreten kann. Ein Beispiel, das bei der Entwicklung intelligenter Produkte sehr wertvoll ist, ist die Wiederverwendung von Softwarefunktionen, um die Komplexität des Codes zu verringern.

(Führungskräfte aus dem Ingenieurwesen auf der ganzen Welt sind auf der Suche nach besseren Methoden zur Integration von Systemen, die für die Entwicklung der nächsten Generation innovativer Produkte genutzt werden. Bild: Gorodenkoff/AdobeStock)

Effektivität vernetzter Systeme verbessern

Im Notbremssystem eines autonomen Fahrzeugs müssen die Elektronik und die Software beispielsweise eine Reihe von Faktoren berücksichtigen, um ein Hindernis zu erkennen und sicher anzuhalten. Wie weit ist das Objekt entfernt? Wie hoch ist die aktuelle Geschwindigkeit? Wie sind die Straßenverhältnisse? Sind die Bremsbeläge schon etwas abgenutzt und muss nachgesteuert werden? Die Beantwortung dieser Fragen würde optimal durch Softwarefunktionen erfolgen, die bereits im Fahrzeug vorhanden sind. Das reduziert den Codebedarf des Fahrzeugs und ermöglicht eine höhere Optimierung der elektronischen Steuergeräte. Die Alternative würde generalisierte Prozessoren erfordern, die einen größeren Datensatz mit geringerer Effizienz berechnen.

Das Notbremssystem könnte beispielsweise Daten vom Antiblockiersystem abrufen, Geschwindigkeits- und Abstandsmessungen vom adaptiven Tempomaten erhalten und den Straßenzustand von bordeigenen Temperatursensoren ableiten, die mit cloudbasierten Wetterdaten integriert sind. Der letztendliche Datenfluss kann sehr unterschiedlich sein, aber die Nutzung der Systemarchitektur zur Planung dieser Anwendungsfälle und zur Optimierung der Verarbeitung verbessert die Effektivität dieser vernetzten Systeme erheblich.

Modellbasiertes Systems Engineering bedeutet für jedes Unternehmen etwas anderes

Nachgelagerte Datenanwendungen können auch die eher geschäftsorientierten Bereiche der Produktentwicklung beeinflussen. CAD-Daten aus der Konstruktion können bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Konstruktionszyklus zur Erstellung von Marketingmaterialien verwendet werden. Die Nachverfolgbarkeit von Entscheidungen liefert den Aufsichtsbehörden wichtige Sicherheitsinformationen. Einkaufsleiter haben den nötigen Einblick in Produktentscheidungen, um die richtigen Lieferanten oder Großhändler auszuwählen und die Zusammenarbeit zwischen dem OEM und dem Lieferantennetz zu verbessern. Und die Nachhaltigkeitskennzahlen eines Produkts und seines Herstellungsprozesses können im Hinblick auf weitere Investitionen in die Technologie bewertet werden, zumal immer mehr Investitionsquellen auf positive ESG-Eigenschaften (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) achten.

Modellbasiertes Systems Engineering bedeutet für jedes Unternehmen etwas anderes, aber jede Implementierung beruht auf einer genauen und kommunizierbaren Systemarchitektur. Um ein erfolgreiches Produkt zu entwickeln, muss man die Anforderungen, die Kosten, die Materialien, die Herstellungsprozesse, die Sicherheit und die Produkte der Konkurrenz kennen, um sich mit Ihrem Produkt in Bezug auf Zeit, Kosten, Qualität, Nachhaltigkeit oder eine Kombination dieser vier Faktoren abzuheben. Die Kenntnis dieser Informationen als Teil eines vernetzten Systems ist sogar noch wertvoller als einzelnes Wissen.

Der Autor Tim Kinman ist Vice President, Trending Solutions Consulting & Global Program Lead for Systems Digitalization, bei Siemens Digital Industries Software.

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