KI in der Industrie 4.0: Zwischen Hype und echter Erkenntnis

Verantwortlicher Redakteur:in: Rainer Trummer 5 min Lesedauer

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Der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) weckt hohe Erwartungen an sich selbstoptimierende Digital Twins oder autonom agierende, adaptive Fabriken in smarten Wertschöpfungsnetzwerken. Jenseits des Hypes steckt KI jedoch noch in den Kinderschuhen. Was nicht heißt, dass mit der aktuell noch „schwachen“ KI kein industrieller Mehrwert zu erzielen wäre.

(Quelle: Shopplaywood/Adobestock)

KI in der Industrie 4.0: Eine der berühmtesten Zukunftsthesen stammt aus dem Buch „The Singularity is near: When Humans Transcend Biology“ von Raymond Kurzweil aus dem Jahr 2005. Er prophezeite darin eine exponentielle Zunahme der informationstechnologischen Entwicklung, in deren Folge bis zum Jahr 2045 die „Singularität“ der künstlichen Intelligenz möglich werden soll – was nichts anderes bedeuten würde, als dass ab diesem Zeitpunkt die Maschinen erstmalig und immerfort intelligenter sein würden als der Mensch. [1]

Schwache KI

Jenseits der Singularitäts-Frage kann sich die industrielle Praxis also vorerst auf zusätzliche Effizienzsteigerungen durch sogenannte schwache KIs konzentrieren. Als „schwach“ künstlich-intelligent werden in diesem Zusammenhang KI-Systeme bezeichnet, die zwar ein lediglich oberflächliches Intelligenz-Level aufweisen aber kein (eigenes) tieferes Verständnis für das Pro-blem und dessen Lösung haben. Diese Systeme sind jedoch mit der entsprechenden Programmierung sowie auf Basis der passenden Algorithmen in der Lage, sich auf einen speziellen Anwendungsfall hin selbst weiterzuentwickeln und zu optimieren. [2]

Das aktuell bekannteste Beispiel für schwache KI ist Machine Learning. Das Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS beschreibt das so: „Bei maschinellen Lernverfahren erlernt ein Algorithmus durch Wiederholung selbstständig eine Aufgabe zu erfüllen. Die Maschine orientiert sich dabei an einem vorgegebenen Gütekriterium und dem Informationsgehalt der Daten. Anders als bei herkömmlichen Algorithmen wird kein Lösungsweg modelliert...“. [3]

KI in der Industrie 4.0

Klassische Algorithmen basieren auf Logik und Regeln. Sie eignen sich hierdurch nicht für die Beschreibung komplexer Probleme. Machine Learning ist dieser Aufgabe hingegen gewachsen. Entsprechende Algorithmen sind eine Kombination von programmatischen und statistischen Methoden. Soll heißen, sie werden mit Trainingsdaten „angelernt“ und sind dann in der Lage, Muster und Zusammenhänge in Daten zu erkennen. Dieser Prozess kann sowohl von Menschen beaufsichtigt, aber auch unbeaufsichtigt sein. Eine Unterkategorie des Machine Learnings ist das Deep Learning mittels neuronalem Netzwerk, das etwa beim autonomen Fahren oder bei der Bildverarbeitung in der Industrie eine Rolle spielt.

Wie können Maschinenbauer profitieren?

Für den Maschinenbauer ergibt sich aus dem Geschilderten mehrere konkrete Anwendungsfälle für KI:

  • Predictive Maintenance

  • Predictive Quality

  • Automatisierung von Simulationen

  • Unterstützung und Automatisierung von Geschäftsprozessen

Dabei bleibt eine autonome Organisation und Steuerung sogenannter Light-Out-Fabriken – also autonom- und adaptiv-gesteuerte Werkshallen, die quasi kein Licht mehr brauchen, weil keine Menschen mehr in ihnen arbeiten – bleibt für viele Unternehmen erstmal noch eine Zukunftsvision. Aber es bietet sich an, be­stehende Prozesse mit Hilfe von KI-basierten Lösungen zu optimieren.

Eine Möglichkeit zur Nutzung von KI im Maschinenbau bieten im Folgenden vorgestellte Beispiele aus dem Adamos Store, in dem sich eine stetig wachsende Zahl an Lösungsbausteinen auch rund um künstliche Intelligenz findet.

(Vier Trends des „Gartner Hype Cycle for Artificial Intelligence 2021“ treiben die kurzfristige Innovation im Bereich der künstlichen Intelligenz voran: verantwortungsvolle KI, Ansätze mit kleinen und großen Datenmengen, die Operationalisierung von KI-Plattformen und die effiziente Nutzung von Daten, Modellen und Rechenressourcen. Bild und Quelle: Gartner)

KI in der Industrie 4.0: Predictive Maintenance

Der wohl bekannteste Anwendungsfall für maschinelles Lernen im Maschinenbau ist Predictive Maintenance – die vorausschauende Wartung von Maschinen und Anlagen. Bei entsprechenden Ansätzen wird die KI so trainiert, dass sie kritische Zustände und Normabweichungen anhand der Maschinendaten eigenständig erkennt. Tritt solch ein Szenario ein, deutet dies auf eventuell bevorstehende Störungen und Wartungsbedarfe hin. Maschinenbauer und deren Kunden können daraufhin gezielt Maßnahmen ergreifen, um Ausfälle entweder zu verhindern oder zumindest optimal einzuplanen. Sie reduzieren Stillstandzeiten und senken gleichzeitig die Zahl unnötiger Routine-Inspektionen.

Senseye PdM ist eine KI-Software und generiert automatisch Modelle für das Verhalten von Maschinen und Wartungspersonal. Mittels Optionen lässt sich die Lösung auf das Anwender-Unternehmen anpassen und verspricht dann reduzierte Maschinenstillstandszeiten, erhöhte Nach­haltigkeit und reduzierte Betriebs- und Wartungskosten.

Predictive Quality

Im Vergleich zu Predictive Maintenance bezieht sich Predictive Quality auf die Prozesse bei der Herstellung. Bei der Sicherung der Prozessqualität geht es darum, Ausschuss zu reduzieren. Datenanalysen erfassen relevante Faktoren, die zu Aussagen über die künftig erwartete Qualität führen – gegebenenfalls können Maßnahmen diese noch verbessern. Dazu decken die Analysen unbekannte Muster und Zusammenhänge auf und die gesammelten Erkenntnisse fließen in Prognosemodelle ein, die Wahrscheinlichkeiten zur Prozess- und Produktqualität berechnen.

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PwC Factory Intelligence ist eine Zusammenstellung von intelligenten Anwendungen auch zur Predictive Quality für das frühzeitige Erkennen von Qualitätsproblemen durch automatisierte Korrelation von Produktionsparametern und Produktqualität – die Software liefert auch Vorschläge für Korrekturmaßnahmen.

KI in der Industrie 4.0: Automatisierung von Simulationen

Möglichkeiten für KI-Anwendungen gibt es auch in der Konstruktion. In diesem Bereich führen Maschinenbauer heute mitunter sehr viele rechen- und zeitintensive Simulationen durch. Durch den Einsatz von Machine Learning lässt sich die Anzahl notwendiger Simulationsvorgänge deutlich reduzieren. Eine ML-Lösung nutzt in diesem Fall verschiedene Ergebnisse und Parameter aus bereits durchgeführten Simulationen. In diesen Daten erkennt sie statistische Zusammenhänge und kann auf dieser Basis den Ausgang bevorstehender Simulationen präzise vorhersagen. Dies reduziert den Personalaufwand, die Energiekosten und auch die Time-to-Market.

Esprit CAM ermöglicht, einen digitalen Zwillings der Werkzeugmaschine zu nutzen für deren Programmierung, Optimierung und Simulation. Die KI vereinfacht die automatische Auswahl von Prozessen, Bearbeitungsstrategien, Werkzeuge und Schnittbedingungen.

Unterstützung und Automatisierung von Geschäftsprozessen

Wenn es um die Automatisierung von Arbeitsabläufen geht, lassen sich vor allem Routinetätigkeiten gut auf KI-Systeme übertragen. Damit sind Tätigkeiten gemeint, die einen vergleichsweise niedrigen kognitiven und kommunikativen Aufwand erfordern und viele unterschiedliche Daten erfordern.

up2parts sorgt für mehr Effizienz in Prozessen beispielsweise zur Kalkulation, Angebotserstellung, Auftragsgenerierung und Arbeitsvorbereitung. Der Algorithmus von up2parts calculation nutzt Bauteilinformationen aus vorhandenen 3D-Modellen sowie bestehendes Fertigungs-Know-how. Die KI-basierte Software trainiert kontinuierlich die individuelle künstliche Intelligenz und stimmt sich so auf das Fertigungs-Portfolio des jeweiligen Betriebs ab.

Workist verarbeitet mithilfe von KI eingehende Bestelldokumente automatisch und überträgt die Auftragsdaten an das ERP- oder CRM-System. Ist sich die KI unsicher, ob die erfassten Daten korrekt sind, geben menschliche Sachbearbeiter Feedback. Die KI lernt anhand dieses Feedbacks, die Daten künftig häufiger zu erkennen.

Kleine Schritte zur großen Lösung

Auch mittels der vorgestellten Tools aus dem Adamos Store stehen Maschinenbauern heute schnell einsatzbereite schwache KI-Lösungen bereit, mit denen sie zeitnah, ohne spezifisches Know-how und mit minimalen Risiken neue Wege ausprobieren können. Mit dem Einsatz der vorgestellten und weiterer verfügbarer Apps können die Unternehmen viel über die Daten ihrer Maschinen und die damit verknüpften Zusammenhänge lernen. Ist dieses Grundverständnis einmal aufgebaut, steht der Ergänzung des eigenen Portfolios um weitere KI-Anwendungen kaum etwas im Wege.

Der Autor Ralph Schiffler ist freier Fachjournalist.

[1] G. Cisek, „Machtwechsel der Intelligenzen, Die blaue Stunde der Informatik“, Springer Nature 2021, S. 7

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