Mobile Systeme: Optimaler Materialfluss in der Batteriezellenproduktion

Verantwortlicher Redakteur:in: Rainer Trummer 4 min Lesedauer

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Die Elektromobilität boomt, und die Nachfrage nach Batterien ist größer denn je. Um diesen Markt bedienen zu können, werden immer mehr Batteriewerke in Europa gebaut. Im neuen Werk eines nordeuropäischen Batterieherstellers sind mobile Systeme von SEW-Eurodrive im Einsatz. Sie sorgen für eine zuverlässige Materialversorgung und ermöglichen den kontrollierten Ein- und Ausschleuseprozess in Reinräumen der Klasse ISO 6.

(Quelle: SEW-Eurodrive)

Seit langem haben sich in der Batteriezellenproduktion vor allem asiatische Firmen einen Vorsprung erarbeitet. Die steigende Nachfrage nach Lithium-Ionen-Batterien im Mobilitätssektor und bei stationären Applikationen führte in den letzten Jahren zu einem schnellen Wachstum bei diesem Marktsegment, in dem europäische Anbieter dringend aufschließen müssen. Die Batterieherstellung erfordert eine Anlagentechnik, die den hohen Anforderungen an Prozessqualität und Durchsatz gerecht wird. Der Schlüssel hierfür sind die Automatisierung und mobile Systeme.

Spezialist auf diesem Gebiet ist die norwegische Firma Tronrud Engineering AS. Das Maschinenbauunternehmen entwickelt, produziert und liefert seit mehr als 40 Jahren Automatisierungslösungen. An den Standorten Eggemoen und Moss im Umkreis Oslos sind rund 200 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt. In Moss, am Ostufer des Oslofjords, ist auch die norwegische Landesgesellschaft SEW-Eurodrive AS beheimatet.

Besondere Reinraumanforderungen an mobile Systeme

Der Auftraggeber, ein Produzent von Lithium-Ionen-Batteriezellen, wünschte sich die Automatisierung von Transportaufgaben durch fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF). Dabei müssen die Fahrzeuge und weitere Systeme so konzipiert sein, dass Reinraum­anforderungen erfüllt werden. Hierfür realisierte Tronrud gemeinsam mit SEW-Eurodrive einen vollauto­matisierten Paletten- und Behältertransport mit fahrerlosen Transportfahrzeugen aus dem Maxolution-Portfolio.

Der Einsatz mobiler Systeme in einer Produktionsumgebung mit hohen Reinraum­anforderungen und zahlreichen Schnittstellen wie Aufzügen, Stetigförderern und Sonder­maschinen ist eine komplexe Herausforderung. Die Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Übergabe in den Luftschleusen stellt hohe Anforderungen an die Positioniergenauigkeit und Sicherheitstechnik. Außerdem müssen verschiedene Ebenen (Erd- und Zwischengeschoss) überwunden werden. Dazu werden die FTF samt Last in Aufzügen transportiert.

(Fahrerlose Transportfahrzeuge von SEW-Eurodrive kommen für den Paletten- und Behältertransport bei der Produktion von Lithium-Ionen-Batteriezellen zum Einsatz. Bild: SEW-Eurodrive)

Vom Testsystem zur Serienproduktion

Zunächst wurde ein Testsystem in einer Pilotfabrik des Endkunden als Machbarkeitsstudie installiert. „Der Transfer von einem Fahrzeug zu einem anderen Fahrzeug mit mehr als einer Tonne Last war eine Herausforderung“, erinnert sich Cato Horten, Senior Project Manager bei Tronrud Engineering und ergänzt: „Durch mehrere Tests und die gute Zusammen­arbeit konnten wir eine ­Lösung finden.“ Nach dem erfolgreichen Test realisierten beide Firmen gemeinsam den Materialfluss mittels eines fahrerlosen Transportsystems in der Serienproduktion eines neuen Werks „auf der grünen Wiese“. Tronrud-Geschäftsführer Skule Edvard Smørgrav unterstreicht: „Ich möchte die Bedeutung von SEW-Eurodrive AS in Norwegen hervorheben. Als Schlüsselpartner sorgten sie dafür, dass die richtigen Informationen die richtigen Leute sowohl bei SEW-Eurodrive Deutschland als auch bei Tronrud Engineering erreichten.“

Zwei strikt getrennte FTS-Bereiche

Verschiedene, über das Werk verteilte Routen sorgen dafür, den spezifizierten Materialfluss aufrechtzuerhalten. Dabei gibt es grundsätzlich zwei getrennte FTS-Bereiche: Im sogenannten „grauen Bereich“ müssen die Fahrzeuge keine besonderen Reinheits­anforderungen erfüllen. Dagegen gilt für den sogenannten „weißen Bereich“ die Reinraum­anforderung nach ISO 14644-1 Klasse 6. Zur Vermeidung einer Kreuzkontamination findet diese Lastübergabe in speziellen Luftschleusen statt. Eine Hauptroute ist die Verbindung des zentralen Lagers mit den Fertigungsbereichen, um sie mit den benötigten Materialien zu versorgen. Sie umfassen die Prozessschritte Beschichten, Kalendern, Slitten, Stapeln und Zellassemblierung.

Innerhalb des „weißen“ Reinraumbereichs transportiert man die Materialien bis an den jeweiligen Verwendungsort. Entweder wird das Material direkt angeliefert, oder es durchläuft vor der Anlieferung weitere Prozesse, zum Beispiel Kommissionierung/Vereinzelung und Zwischenlagerung von Paletten auf einzelnen Kleinladungsträgern (KLT). Dabei findet eine Übergabe von einem auf ein anderes Fahrzeug statt. Darüber hinaus werden die FTF zum Palettentransport vom Lager in den „Supermarkt“ (Bereitstellung von Bauteilen für die Produktion in der Nähe des Einbauortes) und von dort zur Zellassemblierung eingesetzt. Zwischen Flottenmanager und Fahrzeugen kommt die standardisierte, interoperable Kommunikationsschnittstelle VDA 5050 zum Einsatz. Dadurch ist es in diesem Projekt problemlos möglich, eine FTS-Leitsteuerung eines Drittanbieters einzusetzen. In der ersten Ausbaustufe setzt man 42 FTF ein – 31 Fahrzeuge für den ­Palettentransport und elf für den KLT-Transport. Die längste zurückzulegende Strecke beträgt 345 Meter, einschließlich mehrerer Aufzugsfahrten.

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(„Wir bei Tronrud suchen immer nach Herausforderungen, und dies war ein neues Gebiet für uns“, erinnert sich Cato Horten, Senior Project Manager bei Tronrud Engineering. „Mit Förderanlagen sind wir vertraut, aber zusätzlich ein FTF einzusetzen, war etwas anderes.“ Bild: Tronrud Engineering)

Geteilte Verantwortung – doppelter Kundennutzen

Tronrud Engineering übernimmt die Gesamtverantwortung für die stationären und mobilen Handlingssysteme für Paletten und Behälter und hat SEW-Eurodrive die Verantwortung für das gesamte fahrerlose Transportsystem übergeben. SEW realisiert auch die Integration des Tronrud-Lastaufnahmemittels auf dem Fahrzeug, stellt die kompletten Fahrzeuge einschließlich der Konformitätserklärung zur Verfügung und inte­griert die Fahrzeuge in das Gesamtsystem einschließlich Planung, Parametrierung und Inbetriebnahme.

Mobile Systeme: Hardware und Dienstleistungen

Im Bereich mobile Systeme und schienengeführte Fördertechnik bietet SEW-Eurodrive innovative, skalierbare und zukunftsfähige Systemlösungen an. Hierbei liegt der Fokus nicht nur auf den Fahrzeugen selbst, sondern auch auf dazugehörigen Dienstleistungen – von der Systemplanung und Simulation bis zur Inbetriebnahme und der Wartung und Reparatur.

Nach dem Beispiel des weltweit eingesetzten Baukastensystems für Getriebemotoren und Elektronikprodukte erfolgt auch das Engi­neering des fahrerlosen Transportsystems auf Basis eines innovativen Technologie- und Softwarebaukastens. Er ermöglicht, individuelle Fahrzeuge zu konfigurieren und dabei die Komplexität gering zu halten.

Die fahrerlosen Transportfahrzeuge lassen sich mithilfe des Energieversorgungssystems Movitrans von SEW-Eurodrive kontaktlos und wartungsfrei laden. Daher sind sie besonders für sensible Bereiche wie die Lebensmittelproduktion oder Reinräume geeignet. Für die Movitrans-Komponenten gibt es verschiedene Einbauoptionen, die eine einfache und dezentrale Installation ermöglichen. Die Energieaufnahme erfolgt verschleißfrei, entweder punktuell im Stillstand oder während der Fahrt über Linienleiter, die im oder auf dem Boden verlegt werden.

Umfangreiche Sicherheitstechnik schützt das gesamte Fahrzeug – und vor allem die Menschen, die in seiner Umgebung arbeiten. Zur Navigation in den Produktionshallen kommt Laser-SLAM zum Einsatz (simultane Lokalisierung und Kartierung der Umgebung). In Kombination mit Laserparking und Feinpositionierung mittels Data-Matrix-Code ermöglicht dies eine präzise und prozess­sichere Fahrzeugpositionierung.

Der Autor Gunthart Mau ist Referent Fachpresse bei SEW-Eurodrive in Bruchsal.